2020 Dom: Vorbereitung eines digitalen Zwillings

Im Rahmen einer Masterarbeit im Fach Bauingenieurwesen mit Schwerpunkt Konstruktiver Ingenieurbau an der Hochschule Ruhr West in Mülheim/Ruhr hat Christian Dunker von Mai bis September 2020 den analogen Dom mit einem Laserscanner unter die digitale Lupe genommen, vergleichende Detailuntersuchungen im zuvor selbst erstellten 3D-Modell angestellt und daraus einen Handlungsleitfaden für die digitale Erfassung von Sakralbauten entwickelt. Die Situation sakraler Bauwerke, die Entwicklung von 3D-Modellen für Bauen im Bestand und BIM (Building Information Modeling), die digitale Bauwerksdatenmodellierung, eine Arbeitsmethode mit vernetzter Planung, Ausführung und Bewirtschaftung von Bauwerken mit spezieller Software waren weitere Betrachtungen innerhalb der Masterarbeit. Ziel ist es dabei, alle relevanten Bauwerksdaten digital zu „modellieren“, kombinieren und zu erfassen. Damit ist das Gebäude als virtuelles Modell, im Falle von bestehenden (historischen) Bauwerken oder Bauwerksteilen als digitales Abbild oder „Zwilling“ des Originals auch geometrisch visualisiert.[2]


Ein Denkmal ist „ein erhaltenes (Kunst)werk, das für eine frühere Kultur Zeugnis ablegt“[3]. Der Denkmalschutz ist für den Essener Dom durch das Denkmalschutzgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen geregelt. Demnach sind Denkmäler „zu schützen, zu pflegen, sinnvoll zu nutzen und wissenschaftlich zu erforschen“[4]. Im Weiteren heißt es: „Die Eigentümer…haben ihre Denkmäler instand zu halten, instand zu setzen, sachgemäß zu behandeln und vor Gefährdung zu schützen, …“[5]. Damit eine Erhaltung dauerhaft, nachvollziehbar und unverfälscht geschehen kann, oftmals aber nur unzureichende Pläne existieren, kann eine 3D-Vermessung eine gute Möglichkeit darstellen, die Aspekte des Denkmalschutzes zu gewährleisten. Aus der digitalen Punktwolke (Abb. 25) als erstes Arbeitsergebnis des 3D-Laserscannings können verformungsgerechte Pläne entwickelt (Abb. 26) und Fotodokumentationen für Erhaltungspläne abgeleitet werden. Die „Bewegung“ am Computerbildschirm durch die Punktwolke gewährt Einblicke in bauliche Zusammenhänge, die (ohne Gerüst) vom Boden aus nicht zu erzielen sind. Manche räumlichen Zusammenhänge (z.B. am Westbau des Essener Domes) werden klarer durch den Blick durch die digitale Brille (das kann z.B. auch eine VR (Virtual Reality) – Brille sein). Neben dem besseren Verständnis des Denkmals kann im Falle einer Beschädigung oder Zerstörung die umfangreiche und detailgetreue Bestandserfassung zur Rekonstruktion herangezogen werden. (Abb. 27) Eine strukturierte Archivierung in einem digitalen Einordnungssystem einschließlich Altbestandsplänen und aller relevanten Dokumente wie Untersuchungsberichten, Materialdatenblättern, Verfahrensbeschreibungen, Fotos usw. ist somit sinnvoll und nachhaltig. Viele Bauhütten in Europa arbeiten bereits mit dem System MonArch [6], welches sich langsam als übergreifende Plattform für Arbeits-Dokumentationen etabliert. Vorteil eines solchen Systems ist es, sehr große und an verschiedenen physikalischen Orten verstreute Dokumente, Zeichnungen, Fotografien, Artikeln, Büchern und anderen Archivalien zu digitalisieren, die mit dem Monument verbunden sind. In der Regel sind diese mehr oder weniger unsystematisch abgelegt und eine semantische Verschlagwortung existiert nicht. Um das zu ändern und sicherzustellen, sind entsprechende Organisationsformen für den digitalen Informationsbestand erforderlich. Im Sinne eines Austausches über Netzwerke wie die Europäische Dombaumeistervereinigung (Abb. 28) macht es Sinn, über ein gleiches System auf Informationen zurückgreifen zu können.


Das Beispiel Notre Dame in Paris zeigt, dass die dortige detailgetreue Rekonstruktion beschädigter oder untergegangener Gebäudeteile nur möglich ist, weil (schon vor dem Brand) digitale 3D-Aufmaße in verschiedenen Bereichen der Kathedrale durchgeführt wurden.[7]


Am Beispiel des Essener Domes hat Christian Dunker die technischen Möglichkeiten der Erfassung und Auswertung beleuchtet. Er hat dabei die gesamte Prozesskette von der Planung einer Aufnahme bis zur Auswertung mit diversen Software-Lösungen und verschiedene Möglichkeiten der Datennutzung dargestellt. Mit den Erkenntnissen aus diesem realistischen Beispiel und anhand von Interviews mit Dombaumeistern [8] an verschiedenen Großkirchen Deutschlands, die sich aufgrund besonderer Aufgabenstellungen an ihren Kirchen auf 3D-Erfassung spezialisiert haben. Sei es, um komplexe Bauwerksstrukturen zu erfassen (Abb. 29), Bauteile zu rekonstruieren oder gänzlich zu erneuern, oder aber erfolgte Sanierungsarbeiten zu dokumentieren.


Für den Essener Dom lautet die Herausforderung:


A)    Den Bestand der historischen Teile des Bauensembles so zu erfassen, dass eine Rekonstruktion einzelner Bauteile oder aber des Gesamten nach Verlust möglich wird.
B)    Zukünftige Verformungen des Bauwerks, die mit Rissbildungen einhergehen (mögliche Ursachen: Baugrundsenkungen, Nachwirkungen von Kriegsschäden, geologisch bedingte Veränderungen, konstruktionsbedingte Verformungen (Stahldachstuhl), dynamische Verformungen (Schwingungslasten von Glocken) durch Wiederholungsaufnahmen in Bezug auf die Erstaufnahme abzubilden und Gegenmaßnahmen zu planen und umzusetzen.
C)    Sanierungsmaßnahmen so zu dokumentieren, dass diese für nachfolgende Generationen nachvollziehbar sind (Kennzeichnung der Lage von (ansonsten unsichtbar eingebauten) Ankern, Austausch und Bearbeitung von Steinen, Oberflächenbehandlungen). (Abb. 30)
D)    Eintragung von Oberflächenbehandlungen aus der Vergangenheit und Gegenwart (Hydrophobierungen, Festigung von Steinen)
E)    Dokumentation von verwendeten Materialien
F)    Verweise auf verwendete Techniken, z.B. Röntgen (Abb. 31), Laser, Chemische Analyseverfahren, Dendrochronologie, Bohrkernentnahmen, Untersuchungen auf bauschädliche Salze, Schadstoffanalysen, Dünnschliffmikroskopie usw.


Wo bisher nur idealisiert gezeichnete Pläne aus dem 19. Jahrhundert und der heutigen Zeit existieren, wird es zukünftig möglich sein, durch ein verformungsgerechtes Abbild des historischen Ensembles eine umfassende bauliche Dokumentation zu entwickeln.


In einem ersten weiterführenden Schritt werden im ersten Quartal 2021 zusätzlich zu der durch Christian Dunker erfassten Punktwolke der Innenräume Drohnenflüge außerhalb des Domensembles durch VTW (Vermessungstechnik West) vorgenommen. Die dabei aufgenommenen, hochauflösenden Digitalfotos werden am Rechner digital in einem dreiachsigen, GPS-gestützten Koordinatensystem zusammengefügt und anschließend zu einer ergänzenden Punktwolke generiert. Diese kann dann wiederum mit den Daten aus dem Innenraum vereinigt werden, sodass dann ein digitales 3D – Gesamtmodell existiert. Aus dem „Digitalen Zwilling“ können dann in Zukunft bedarfsweise verformungsgerechte oder aber auch „steingerechte“ 2D – Zeichnungen (Abb. 32) erstellt werden. Diese dienen dann der weiteren Planung, Ausführung und vor allem Dokumentation neuer, aber auch bisher durchgeführter Sanierungsabschnitte.

 

[2] Masterarbeit „Detailuntersuchungen im zuvor selbst erstellten 3D-Modell vom Dom zu Essen inklusive Ableitung eines Handlungsleitfadens für sakrale Bauten“, I, Christian Dunker, Hochschule Ruhr-West University of applied sciences, 21.09.2020  
[3] duden.de, 2020a
[4] Denkmalschutzgesetz NRW – DSchG,11.03.1980, § 1
[5] Denkmalschutzgesetz NRW– DSchG,11.03.1980, § 7
[6] MonArch – A Digital Archive for Cultural Heritage, Burkhard Freitag and Alexander Stenzer, in: Vinken, Gerhard; Franz, Birgit (Hrsg.): Das Digitale und die Denkmalpflege: Bestandserfassung - Denkmalvermittlung - Datenarchivierung - Rekonstruktion verlorener Objekte, S. 122–129, 2017
[7] Lasertechnik und 3D-Modelle sollen Notre-Dame retten, www.handelsblatt.com/technik/forschung-innovation/kathedrale-in-paris-lasertechnik-und-3d-modelle-sollen-notre-dame-retten
[8] Masterarbeit „Detailuntersuchungen im zuvor selbst erstellten 3D-Modell vom Dom zu Essen inklusive Ableitung eines Handlungsleitfadens für sakrale Bauten“, Christian Dunker, Hochschule Ruhr-West University of applied sciences, 21.09.2020, Anhänge R, S, T, U, V

 

 

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